Warum Kitten zu kleinen Raubtieren werden
Wer kennt es nicht: Die kleine Samtpfote lauert hinter der Türecke, die Pupillen sind geweitet, der Körper angespannt – und plötzlich schießt sie hervor und krallt sich mit aller Kraft am Knöchel fest. Was zunächst niedlich erscheint, entwickelt sich schnell zu einem ernsten Problem. Junge Katzen leben ihren angeborenen Jagdinstinkt aus, und wenn menschliche Hände und Füße zum bevorzugten Beuteobjekt werden, beginnt ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist.
Der Jagdtrieb ist genetisch verankert und überlebenswichtig. Jungtiere entwickeln ihre motorischen Fähigkeiten durch intensives Spiel mit Geschwistern. Dabei lernen sie, ihre Bisse zu kontrollieren und Grenzen zu respektieren. Kitten, die zu früh von der Mutter getrennt wurden oder als Einzeltiere aufwachsen, erhalten diese wichtige Lektion oft nicht ausreichend.
Das menschliche Verhalten verschärft die Situation häufig ungewollt. Wenn wir mit den Fingern vor dem Kätzchen herumwedeln oder unter der Bettdecke mit den Füßen wackeln, senden wir eindeutige Signale: Hier ist Beute! Das junge Gehirn der Katze kann nicht unterscheiden, wann dieses Verhalten erwünscht ist und wann nicht. Jede Interaktion, bei der Körperteile als Spielzeug dienen, verfestigt ein Muster, das später nur mühsam korrigiert werden kann.
Die unterschätzte Rolle der Ernährung
Was viele Katzenhalter überrascht: Die Ernährungsstrategie kann das Jagd- und Angriffsverhalten beeinflussen. Forschungsergebnisse aus England zeigen, dass Katzen, die getreidefreies Futter mit hohem Fleischanteil erhielten, 36 Prozent weniger Beute erbeuteten. Die Qualität der Nahrung scheint eine messbare Auswirkung auf das Jagdverhalten zu haben.
Wichtig zu verstehen ist jedoch: Fütterung allein kann den Jagdtrieb nicht eliminieren. Studien der Universität Exeter belegen, dass 50 bis 80 Prozent der gut gefütterten Freilaufkatzen trotzdem jagen. Das Verhalten des sogenannten Überschusstötens ist evolutionär bedingt und lässt sich nicht einfach durch volle Näpfe unterbinden. Die Jagd dient nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern ist ein tief verwurzeltes Verhaltensmuster.
Feste Fütterungszeiten schaffen Struktur
Statt einer permanenten Futterquelle sollten junge Katzen mehrere Mahlzeiten täglich zu festen Zeiten erhalten. Diese Struktur gibt dem Tag einen Rhythmus und verhindert, dass die Katze permanent auf Futtersuche ist. Die Mahlzeit kann den erfolgreichen Beuteerwerb simulieren und einen wichtigen biologischen Ablauf befriedigen.
Besonders wirkungsvoll: Vor jeder Fütterung sollte eine intensive Spielphase stattfinden. Mit einer Federangel oder einem ähnlichen Spielzeug lassen sich die Jagdsequenzen nachstellen – Anschleichen, Fixieren, Anspringen, Fangen. Nach etwa zehn bis fünfzehn Minuten aktivem Spiel folgt das Futter. Diese Kombination spiegelt einen natürlichen Ablauf wider und kanalisiert die Energie der Katze in erwünschte Bahnen.
Proteinqualität macht einen Unterschied
Katzen sind obligate Karnivoren und benötigen hochwertige tierische Proteine. Als reine Fleischfresser sind sie bestens zur Jagd auf kleine Nagetiere angepasst und brauchen entsprechende Nährstoffe. Die bereits erwähnte englische Studie zeigte, dass getreidefreies Futter mit hohem Fleischanteil das Jagdverhalten messbar veränderte.
Viele Verhaltensberater berichten von Verbesserungen bei aggressivem Spielverhalten, nachdem die Ernährung optimiert wurde. Ein hochwertiges Nassfutter ohne Zucker und mit hohem Fleischanteil versorgt den Körper mit dem, was er wirklich braucht. Die nervöse Rastlosigkeit, die manche Katzen zeigen, kann dadurch abnehmen.
Praktische Strategien gegen Angriffe auf Hände und Füße
Die Null-Toleranz-Regel für Körperkontakt
Ab dem Moment, in dem eine Katze ins Haus kommt, gilt: Hände und Füße sind niemals Spielzeug. Kein einziges Mal. Diese Konsequenz ist entscheidend. Wenn die Katze dennoch zuschnappt, wird die Interaktion sofort beendet. Ein kurzes, scharfes Aua oder Nein – ohne zu schreien – signalisiert Schmerz, ähnlich wie es ein Wurfgeschwister tun würde. Danach verlässt man den Raum für einige Minuten.

Diese Reaktion muss bei jedem Familienmitglied identisch ablaufen. Inkonsistenz verwirrt die Katze und macht jede Erziehungsarbeit zunichte. Kinder sollten besonders angeleitet werden, da ihre schnellen Bewegungen und hohen Stimmen für Kitten besonders stimulierend wirken.
Ersatzobjekte intelligent einsetzen
Die Energie muss einen Ausweg finden. Beim Spielen können Katzen ihren Jagdtrieb ausleben, denn das Spiel beinhaltet viele Elemente der Jagd. Statt Hände anzubieten, sollten verschiedene Spielzeuge strategisch im Haushalt verteilt sein.
- Federangeln und interaktive Spielzeuge, die Distanz zwischen Hand und Katze schaffen
- Fummelbretter und Intelligenzspielzeuge, die den Geist fordern
- Kleine Bällchen oder Mäuse zum selbstständigen Jagen
- Katzenminze-gefüllte Kickkissen, gegen die mit den Hinterbeinen getreten werden kann
Ein Trick aus der Verhaltenstherapie: Tragen Sie ein kleines Spielzeug in der Tasche. Wenn die Katze angreift, lenken Sie ihre Aufmerksamkeit sofort auf das alternative Objekt. So lernt sie, dass bewegte Beute existiert – nur eben nicht in Form menschlicher Gliedmaßen.
Umweltanreicherung als Präventionsmaßnahme
Eine unterstimulierte Katze sucht sich selbst Beschäftigung – meist in Form unerwünschten Verhaltens. Kratzbäume in verschiedenen Höhen, Aussichtsplätze am Fenster, versteckte Leckerlis in Wohnungsecken und wechselnde Spielzeuge halten den Geist wach und den Körper beschäftigt.
Für Einzelkatzen ist die Überlegung eines zweiten Tieres oft die beste Lösung. Ein gleichaltriger Spielgefährte bietet das, was kein Mensch leisten kann: artgerechte Interaktion auf Katzensprache. Die beiden toben miteinander, jagen sich gegenseitig und lernen durch Feedback, wie stark ein Biss sein darf.
Wenn das Verhalten bereits etabliert ist
Bei Katzen, die das Angreifen bereits gelernt haben, braucht es Geduld und Systematik. Verhaltensänderung geschieht nicht über Nacht. Die Kombination aus konsequenter Ignoranz bei unerwünschtem Verhalten und enthusiastischer Belohnung bei erwünschtem ist der Schlüssel.
Belohnen Sie jede ruhige Annäherung, jedes sanfte Schnüffeln an der Hand ohne Krallen und Zähne. Hochwertige Leckerlis oder Spieleinheiten verstärken das positive Verhalten. Die Katze lernt: Sanftheit bringt mehr als Aggression.
In hartnäckigen Fällen kann ein zertifizierter Katzenverhaltenberater helfen, individuelle Auslöser zu identifizieren. Manchmal liegen auch gesundheitliche Probleme vor – Schmerzen durch Zahnprobleme oder Verdauungsbeschwerden können Reizbarkeit verstärken. Ein Tierarztcheck schließt diese Ursachen aus.
Hinter jedem Kratzer und jedem Biss steht kein bösartiges Tier, sondern ein Lebewesen, das seinen Instinkten folgt und auf unser Feedback angewiesen ist. Junge Katzen testen Grenzen, genau wie Menschenkinder. Sie brauchen liebevolle, aber klare Führung, um sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden. Wenn wir ihre Bedürfnisse ernst nehmen – nach Jagdstimulation, nach hochwertigem Futter, nach Struktur und Sicherheit – entwickeln sich ausgeglichene, vertrauensvolle Beziehungen. Das kratzbürstige Kitten wird zur sanften Gefährtin, die ihre Energie in die richtigen Bahnen lenkt. Dieser Weg erfordert Konsequenz, aber das Ergebnis ist eine tiefe, respektvolle Bindung, die ein ganzes Katzenleben lang trägt.
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